Für mich ist Hajo einfach ein Freund. Wir sehen uns nicht oft. Wenn, dann braucht es Zeit. So erst kürzlich. „Komm doch mal vorbei und probier meinen neuen Jahrgang.“ Kein langes Telefonat, kurze Begrüßung und gleich die Einladung, unkompliziert. Zwei Tage später sitzen wir uns in seiner Küche Corona konform gegenüber.
Hajo hat Ecken und Kanten, er mag das klare Wort, ist kein Liebhaber ausgefeilter Diplomatie, die er auch kann. Eine verlässliche, gebildete Type, die es einem im Gespräch nicht immer leicht macht. Er hat einen hohen Anspruch an sich, seine Weine und seine Mitmenschen. Fake News und Halbwissen sind ihm ein Gräuel; Sprücheklopfer mag er nicht. Hajo Becker steht zu seinen Überzeugungen, auch, wenn es nicht nur Zustimmung gibt.
Zur Begrüßung schenkt er mir J.B. Becker Wallufer Berg Bildstock Riesling Kabinett 2019 ein. Bei meinen Weinveranstaltungen sage ich immer, manchmal könne man eben nicht alles riechen, dann soll man laut „Quitte“ rufen und alle seien begeistert; würden sich fragen, wie Quitte riecht und schmeckt und zugleich die hohe Fähigkeit des Rufenden loben. Keiner will sich beim Wein blamieren. Jetzt sitze ich hier und rieche tatsächlich Quitte und habe zugleich den Geruch eines saftigen Pfirsichs in der Nase. Ein toller Wein mit sehr zurückhaltender Säure und viel Süße.
Während ich noch über die Quitte sinniere, erzählt Hajo beiläufig, dass er in diesem Jahr 50 Jahre das Weingut verantwortlich leite. Was für eine Zeit. Wir sind uns vor knapp fünfundzwanzig Jahren erstmals begegnet. In seinem Weingarten. Er präsentierte bei einer Geburtstagsfeier, zu der ich eingeladen war, seine Weine. So unbeschwert und doch voller Überzeugung wie jetzt.
Ich werde nicht den Fehler begehen, alle Weine hier zu beschreiben. Weine wollen genossen, gekostet und getrunken werden. Der geneigte Leser und die verehrte Leserin mögen, ja müssen, sich bei nächster Gelegenheit dringend selbst einen Eindruck verschaffen.
Wir sind mittlerweile bei J.B. Becker Wallufer Walkenberg Riesling Auslese trocken 2019 angelangt. Trocken? Ein Gedicht. Ein ganzer Obstkorb nähert sich der Nase und flirtet mit dem Gaumen. Eine Hommage an den Riesling! Es war die trockene Ausrichtung des Weinguts ab 1971, die zunächst die Stammkunden irritierte. In einer Zeit, in der Wein nicht süß genug sein konnte. Heute sind die Becker Weine international herausragende Rheingauer Botschafter.
128 Jahre wird das Weingut in diesem Jahr; Hajo führt es schon mehr als ein Drittel dieser Zeit. Beständig wäre ein treffendes Attribut für ihn und natürlich seine Weine. Im Weinberg nur so wenige Eingriffe wie notwendig, heute heißt das „schonende Weinbergspflege“. Für Hajo Becker gilt, der eherne Grundsatz, die Weinberge sind eine Leihgabe der Natur. Und im Keller lässt er dem Wein alle Zeit, die er braucht. Geduld wäre ein anderes Attribut. Braucht man für langlebige Weine und auch als passionierter Jäger. Hege und Pflege sind für ihn keine Worthülsen, nein, gelebte Überzeugung. Dazu gehört auch das Bohren dicker Bretter – deswegen ist er 1981 auch aktiv in die Kommunalpolitik eingestiegen; bis heute in der Gemeindevertretung von Walluf und seit 15 Jahren auch im Kreistag. Dort ist er der einzige Winzer. Manchmal ein harter, unbequemer Streiter für den Rheingau. Die Windkraftbefürworter konnten es erleben.
Am Ende eines langen Gesprächsabends präsentiert er mir noch einen Spätburgunder, Fassprobe 2020, Auslese, trocken, unfiltriert – von Filtration hält Hajo Becker eh wenig. Ich fühle mich an einen wuchtigen, schweren Amarone erinnert. Mit einem Mostgewicht von 118 Grad Oechsle lädt der Wein, der von Hajos Ehefrau Eva ausgebaut wird, schon jetzt zu einem genussvollen italienischen Abend ein. Bin sehr gespannt, wie er sich in den nächsten Jahren entwickelt.
Im Weingut J. B. Becker wird Tradition und Moderne kunstvoll und nachhaltig verbunden. In 2019 erhielt Johann Josef Becker für sein vielfältiges Engagement den Goldenen Römer, die höchste Auszeichnung des Rheingauer Weinbauverbands. 46 Jahre nachdem sein Vater vom Weinbauverband ausgezeichnet wurde. Bereits 1991 schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schon über ihn: „Becker, so gradlinig wie eine Rebzeile, verfährt bei seiner Arbeit so konservativ und traditionell, dass es schon wieder revolutionär ist.“ Knapp 30 Jahre her; immer noch aktuell.